Predigt über Matthäus 15, 21 – 28
Thema: Gott ist für uns da. Jesus hört und erhört uns,
wenn wir um Hilfe bitten.
Er erwartet aber auch einen großen Glauben.
Erinnern Sie sich noch an Ihren letzten Urlaub? Endlich war Ausspannen angesagt. Die ganze Hektik des Alltags mit all den vielen geschäftlichen Terminen haben Sie hinter sich gelassen. Jetzt wollen Sie nur noch Ihre Ruhe. Sie sind extra weit weg ins Ausland gereist und wollen nur noch entspannen.
Gleich am ersten Tag Ihres Urlaubs gehen Sie vergnügt mit Ihrem Ehepartner oder mit guten Freunden spazieren. Während Sie so gemütlich einen Fuß vor den anderen setzen, die Landschaft um sich herum genießen und sich vielleicht noch über die Vorzüge der soeben verspeisten, köstlichen Mahlzeit austauschen, bemerken Sie auf einmal, wie jemand schreiend von hinten auf Sie zuläuft.
"He, Sie, ich kennen Sie, Sie sind doch der berühmte Chirurg aus der Stadt!" schreit eine Frau hinter Ihnen. (Sie können statt Chirurg auch Anwalt oder Schneider oder Sänger oder sonst einen Beruf einsetzten.) Bleiben wir einfach mal bei einem und stellen uns vor, daß Sie Chirurg sind.
"Hallo, Sie, ich weiß, daß Sie der Chefarzt in der Klinik sind!" brüllt die Frau von hinten.
Wie reagieren Sie?
‚Nur nicht umdrehen, vielleicht verschwindet sie dann wieder,‘ könnten Sie denken. ‚Ich mache hier Urlaub, ich will meine Ruhe und nicht an meine Arbeit erinnert werden. Und ich will schon gar nicht erkannt werden.‘
"Sag doch dieser plärrenden Type, sie soll verschwinden," raunt Ihre Frau Ihnen vielleicht zu. "Die ist ja direkt peinlich. Außerdem sollst Du jetzt nicht arbeiten. Du brauchst auch mal Erholung."
Die fremde Frau hat Sie inzwischen erreicht. Sie klammert sich förmlich an Sie. "Ich habe eine kranke Tochter," jammert sie, "Sie könnten sie sich doch ansehen. Bestimmt können Sie sie heilen."
Wie reagieren Sie? Seufzen Sie leicht genervt und sagen vielleicht: "Also hören Sie. Ich bin hier zum Ausspannen und nicht zum Arbeiten. Außerdem habe ich meinen Instrumentenkoffer nicht dabei. Und dann sind Sie ja auch gar nicht meine Patientin."
So – und jetzt drehen wir die ganze Geschichte um:
Stellen Sie sich vor, Sie sind nicht der Arzt, Sie sind auch nicht die Ehefrau des Arztes, nein, versetzen Sie sich in die Rolle dieser Frau mit dem kranken Kind.
Wie reagieren Sie?
Sie haben da mehr oder weniger zufällig diesen Mann entdeckt. Erst kürzlich haben Sie sein Bild in der Zeitung gesehen und einen Artikel dazu gelesen, was er wieder einmal für eine herausragende Leistung in der Klinik vollbracht hat. Sie denken, daß genau dieser Arzt doch bestimmt Ihrer kranken Tochter helfen könnte. Was für ein Glück, daß Sie ihn ausgerechnet jetzt hier auf diesem Spazierweg entdeckt haben.
Wie reagieren Sie auf seine Abweisung?
Irgendwie verstehen Sie ja seine Argumente, daß er im Urlaub ist, und daß er seinen Instrumentenkoffer nicht dabei hat, und daß er seine Ruhe habe will. Seufzen Sie ein bißchen, drehen Sie sich und, und gehen Sie traurig wieder weg?
Oder starten Sie doch noch einen Versuch? Nehmen wir an, Sie machen noch einen Anlauf und fragen erneut. "Können Sie meiner Tochter nicht doch helfen, Herr Doktor?"
Doch was passiert? Er kanzelt Sie wieder ab. Er erklärt Ihnen klipp und klar, daß Sie nicht seine eingeschriebene Patientin sind, und daß Ihre Tochter daher kein Recht hat, von ihm behandelt zu werden.
Und jetzt? Spätestens jetzt gehen Sie mit einem Seufzer traurig weg. Oder?
Sie können schließlich nicht nochmals bitten. Er hat doch schon ganz klar "nein" gesagt. Oder doch?
Genau so eine Geschichte, wie wir sie uns jetzt zusammen vorgestellt haben, steht auch in der Bibel und zwar im Evangelium des Matthäus in Kapitel 15, 21 – 28.
Jesus hatte zuvor anstrengende Unterredungen mit den Pharisäern gehabt. Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, daß das Predigen und Heilen und all diese Diskussionen für Jesus auch anstrengend waren? Es gibt da z. B. eine Geschichte von einer Frau, die über viele Jahre krank war. In einem ziemlichen Gedränge von Menschen faßt sie Jesus an und wird sogleich gesund. Jesus sagt dann: "Wer hat mich angefaßt? Von mir ist Kraft ausgegangen."
Das zeigt uns, daß Jesus nicht einfach so mal eben Menschen heilte, sondern daß ihn das alles auch anstrengte. Denn er war ja ganz und gar Mensch, wenngleich er auch Gottes Sohn ist.
Die Geschichte, die wir jetzt miteinander betrachten wollen, beginnt mit dem Satz:
Nachdem er (Jesus) von dort weggegangen war, zog er sich in die Gegend von Tyros und Sidon zurück.
Jesus zog sich also zusammen mit seinen Jüngern in eine etwas entferntere Gegend zurück, weil er auch mal seine Ruhe brauchte. So, und dort passierte folgendes: Matthäus 15, 22 – 28:
Und siehe, eine kananäische Frau kam aus jener Gegend, schrie und sprach: "Erbarme dich meiner, Herr, du Sohn Davids! Meine Tochter ist arg besessen!" Er aber antwortete ihr nicht ein Wort. Da traten seine Jünger herzu, baten ihn und sprachen: "Fertige sie ab; denn sie schreit uns nach!"
Er aber antwortete und sprach: "Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel."
Sie aber kam, fiel vor ihm nieder und sprach: "Herr, hilf mir!"
Er aber antwortete und sprach: "Es ist nicht fein, daß man das Brot der Kinder nehme und es den Hündlein vorwerfe!"
Sie aber sprach: "Ja, Herr! aber doch essen die Hündlein von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen."
Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: "O Frau, dein Glaube ist groß; dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter war geheilt von jener Stunde an."
Erkennen Sie unsere Geschichte von vorhin wieder? Lassen Sie uns die Geschichte ein bißchen genauer betrachten und dabei auf einige Worte und Details besonders achten:
Die kananäische Frau schrie. Sie kam nicht vorsichtig oder schüchtern her und fragte höflich, ob es eventuell möglich sei, daß Jesus mal einen Blick auf ihre kranke Tochter werfe. Nein, sie schrie gleich: "Erbarme dich meiner, Herr, Sohn Davids!" Sie erkannte auch Jesus, denn sie schrie, "Herr, Sohn Davids!" Sohn Davids, das ist ganz klar der erwartete Messias.
Jesus reagiert zunächst wie ein ganz normaler Jude der damaligen Zeit eben reagierte: Es war da eine Ausländerin und noch dazu eine Frau. Juden ist es nicht gestattet, Gemeinschaft mit Ausländern zu haben. Sie würden sich verunreinigen. Und außerdem handelte es sich hier um eine Frau. In der damaligen Gesellschaftsordnung gehörte es sich nicht, daß ein Mann einfach so mit einer fremden Frau sprach. Na ja, es gehörte sich noch viel weniger, daß eine Frau einen fremden Mann anspricht. Aber diese Frau tat das trotzdem.
Die Jünger von Jesus regierten auch wie ganz normale Juden: Sie schlugen Jesus vor, die Frau fortzuschicken. Es gibt verschiedene Stellen in der Bibel, an denen Menschen auf Jesus zugehen, und die Jünger sich ganz anders als Jesus verhalten. Am bekanntesten sind wohl die Stellen, an denen Jesus sagt: "Lasset die Kindlein zu mir kommen." Da hatten zuvor die Jünger von sich aus gleich die Menschen abzuwehren versucht. Dann jedoch hatte Jesus ausdrücklich angeordnet, die Kindlein zu ihm bringen zu lassen.
Hier in unserer Begebenheit war die Situation ein bißchen anders. Die Frau war nämlich schneller als die Jünger. Erst nachdem die Frau Jesus bereits angesprochen hatte, kamen die Jünger herzu und machten Jesus den Vorschlag, die Frau wegzuschicken.
Verwirrt es Sie auch ein bißchen, wie Jesus da reagierte? Er sagt ganz und gar nicht wie bei : "Lasset die Kindlein zu mir kommen." etwa "lasset die Frau zu mir kommen." Er sagt vielmehr mit dem deutlichen Nachdruck einer doppelten Verneinung: "Ich bin einzig nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israels."
Die Frau aber ist dermaßen aufgeregt, daß sie derartige Überlegungen weder kümmern noch interessieren. Sie wirft sich vor Jesus auf die Füße und wiederholt ganz einfach und direkt: "Herr, hilf mir."
Doch Jesus greift diesen Gedanken mit dem Haus Israel nochmals auf. Er wird sogar ziemlich kraß. Er vergleicht nämlich die Juden mit den Kindern im Gegensatz zu den anderen, also allen Nichtjuden, die er als kleine Hunde bezeichnet, als kleine Hunde wohlgemerkt.
Um die Tragweite dieses Bildes wirklich voll zu erkennen, lassen Sie mich kurz auf den Begriff "Hund" eingehen. Die Stellung eines Hundes damals in Israel kann man mit jener unserer heutigen Haustiere ganz und gar nicht vergleichen. Ein großer Hund, der war wenigstens noch nützlich. Mann konnte ihn als Wachhund einsetzen. Aber ein kleiner Hund – im Griechischen gibt es zwei unterschiedliche Wörter je für großer Hund und kleiner Hund, und Jesus verwendet hier ausdrücklich das Wort "kleiner Hund" – also ein kleiner Hund, der taugt ja zu gar nichts. Damals hatten die Leute keine kleinen Schoßhunde, die possierlich auf der Couch saßen und von Frauchen Kekse zugesteckt bekamen.
Jesus verwendet also einen mehr als abwertenden Ausdruck. Ich frage mich, ob ich nicht reichlich beleidigt wäre, wenn mich jemand so titulieren würde.
Überlegen Sie mal, wenn Ihr Chef in der Arbeit oder Euer Lehrer in der Schule sagen würde: "Ich bin für die Söhne und Töchter des Hauses da und nicht für einen mickrigen, kleinen Hund wie Sie einer sind." Bei allem Respekt vor dem Ansehen dieser Person, ich würde mich wahrscheinlich umdrehen und gehen.
Doch die Kananiterin reagiert vollkommen anders. Sie nimmt das Beispiel von Jesus sogar auf und wendet es auf sich selbst an: "Ja, Herr," sagt sie. Sie akzeptiert es voll, daß Jesus sie als kleinen Hund bezeichnet. Und sie fährt fort: "Aber die Herren lassen auch manchmal was vom Tisch herunterfallen, und das essen dann die kleinen Hündchen auf."
Ist uns eigentlich klar, was diese Frau damit ausdrückt? Zuerst einmal akzeptiert sie es, daß sie ein Nichts ist und daß sie letztendlich wertlos ist. Wie wertvoll ist ein Mensch? Wir werden vielleicht 70 oder 80 Jahre alt. Was ist das schon, verglichen mit den Milliarden von Jahren die unser Weltall bereits zählt. Ich bin hier lediglich ein Mensch unter vielleicht 50 in diesem Raum, unter mehr als einer Million in dieser Stadt, unter mehreren Milliarden auf diesem Planeten. Und wenn meine Tochter krank ist, und wenn sie möglicherweise sogar stirbt, da kräht doch kein Hahn danach. Also wozu der ganze Aufwand?
Stop! Eine solche Denkweise wäre ganz und gar falsch!
Gar nicht allzu lange vor dieser Begebenheit sagt Jesus nämlich etwas ganze Bezeichnendes. Er unterweist da seine Jünger. Es steht in Matthäus 10, Vers 29.:
Verkauft man nicht zwei Sperlinge um einen Pfennig? Und doch fällt keiner derselben auf die Erde ohne euren Vater.
Ein Sperling, ein Spatz ist noch viel weniger wert als ein keiner Hund. Aber doch kennt Gott, der Herr, jeden einzelnen. Jeder einzelne Spatz ist ihm wichtig. Und jeder einzelne kleine Hund ist ihm deshalb noch viel wichtiger.
Aber – im Vergleich zu Jesus, zu Gott unserem Herrn, da sind wir alle miteinander nicht mehr als kleine Hunde.
Wenn wir auf der einen Seite erkennen, wie winzig klein wir gemessen an der Allmacht Gottes sind, dann wird uns noch viel mehr bewußt, wie unendlich groß die Liebe Gottes zu uns Menschen ist.
Diese Frau aus Kanaa dort, die hat genau das erkannt und verstanden. Deshalb sagte Jesus auch zu ihr: "Groß ist dein Glaube." Und aus diesem einzigen Grund, weil nämlich der Glaube der Frau so groß war, machte Jesus die Tochter der Frau wieder gesund.
Wir erfahren aus der Geschichte nicht, daß die Tochter bei dieser Begegnung dabeigewesen sei. Wahrscheinlich war sie zu Hause, und irgendein Knecht paßte auf sie auf. Aber wir erfahren, daß das Kind von diesem Augenblick an wieder gesund war. Die Frau muß also danach noch Kontakt zu den Jüngern oder gar zu Jesus selbst aufgenommen haben. Wie hätte Matthäus sonst erfahren und aufschreiben können, daß das Kind wieder genesen war?
Matthäus beendet seinen Bericht hier und fährt mit einer ganz anderen Sache fort. Für die Frau aber, die diese Wundertat von Jesus erlebte, war die Angelegenheit ganz und gar nicht zu Ende. Ich versuche gerade, mir diese Situation bildlich vorzustellen: "Es geschehe dir, wie du willst." Das war der letzte Satz, den Jesus zu der Frau sagte. Danach entließ er sie. Die Frau ging nach Hause.
Was mag der Frau auf dem Heimweg wohl durch den Kopf gegangen sein? Ging sie selbstbewußt und vergnügt vor sich hinträllernd ihres Wegs in der sicheren Gewißheit, daß ihr Kind nun gesund war? Oder hatte sie vor Aufregung Herzklopfen gehabt, weil sie beim Betreten ihres Hauses nicht so recht sicher war, was sie dort erwarten würde? Wir wissen es nicht. Wir wissen lediglich, daß das Kind definitiv gesund war, und daß die Frau es den Jüngern gesagt haben muß, denn Matthäus hätte es ja sonst nicht erfahren und aufschreiben können.
Nachdem wir uns diese Begebenheit nun so ausführlich angesehen haben, stellt sich die Frage: Was will uns diese Geschichte sagen? Was können wir daraus für uns ganz persönlich mitnehmen? Ich denke, es sind eine ganze Reihe von Gesichtspunkten.
Da ist zum einen das Verhalten der Frau, und zum anderen – wenn auch nur recht am Rande – das der Jünger. Sehen wir uns zuerst die Jünger an: Sie schlagen Jesus vor, die Frau wegzuschicken. Jesus reagiert darauf, indem er von den verlorenen Schafen des Hauses Israel spricht. Interessanter Weise haben die Wörter "fortschicken" und "verloren" im Griechischen den gleichen Stamm. Die Jünger schlagen also Jesus vor: "Laß doch die Frau verlorengehen." Sie meinten das sicher nicht böse. Sie wußten, Jesus war vom vielen Predigen müde und hatte eigentlich vorgehabt, Pause zu machen.
Wenn ich nur daran denke, als mein Sohn noch klein war, wie oft ich müde war und dann sagte: "Ach, laß mich jetzt mal in Ruhe." Das ist ja eigentlich ganz legitim und verständlich. Doch das Kind stand dann verloren herum.
Bei Jesus ist das anders. Er schickt uns niemals fort und läßt uns verlorengehen. Er denkt nicht zuerst an sich, sondern er kümmert sich immer um uns und unsere Sorgen und Nöte. Das ist doch eine wundervolle Gewißheit, Tag und Nacht darauf vertrauen zu können, daß Jesus für uns da ist.
Doch wenden wir uns nun der Frau zu:
Die Frau hatte erkannt, daß Jesus der Sohn Gottes ist. Das war der erste Schritt. Doch von der bloßen Erkenntnis einer Tatsache bis hin zum aktiven Handeln ist noch ein weiter Weg.
Ich weiß, daß Jesus der Sohn Gottes ist. Ich weiß, daß er für mich ganz persönlich den Tod überwunden hat, damit durch ihn auch ich leben darf. Aber in wie weit nehme ich seine Vollmacht auch in Anspruch? Ich weiß, daß ich Jesus um alles bitten darf. Aber tue ich es auch?
Wie oft im Leben denke ich: "Also, Herr, das kann ich schon selber," und kremple die Ärmel auf. Und dann – dann erleide ich Schiffbruch, nicht immer, aber immer öfter.
Ich weiß noch vor einiger Zeit hatte ich ziemlich regelmäßig in einer Gegend von München zu tun, in der das Parken ein gewaltiges Problem ist. Oft hatte ich auf dem Weg zu diesem Termin im Auto gebetet: "Bitte, lieber Gott, laß mich einen Parkplatz finden." Ich hatte auch immer ziemlich schnell einen gefunden. Dann eines Tages im Auto dachte ich so bei mir. ‚Was bilde ich mir da eigentlich ein, wer ich bin? Ich, belästige den großen Gott wegen so einer Lappalie wie einer Parklücke. Außerdem habe ich doch sowieso immer ziemlich schnell eine gefunden.‘ Also ich sag‘ es Ihnen gleich. An diesem Tag bin ich über eine halbe Stunde lang um den Block gefahren, bis ich dann ewig weit weg einen Parkplatz gefunden hatte. Ich war so klein mit Hut und habe Jesus um Verzeihung gebeten.
Wir dürfen Jesus um alles bitten, nicht nur um die ganz großen Dinge, auch um die kleinen. Aber wir sollten uns auch stets im Hinterkopf bewußt sein, daß wir Menschen verglichen mit der Allmacht und Größe Gottes nichts weiter als ganz kleine Hündchen sind.
In unserer heutigen Wirtschaft, im säkularen Bereich, da sind die meisten von uns sogar nichts weiter als winzige Rädchen einer riesigen Maschine, ohne weiteres und jederzeit auswechselbar. Wenn wir nicht mehr funktionieren, dann wird eben ein anderer an unseren Platz gestellt, der die Aufgabe besser zu erfüllen vermag. Das ist schon ein bißchen trostlos, oder. Na, ja, das ist das Leben. Es ist nun mal hart.
Stop!
Lassen Sie uns einen Blick auf das werfen, was Paulus in Römer 8, 14 und 15 schreibt:
Denn alle, die sich vom Geiste Gottes leiten lassen, sind Gottes Kinder. Denn ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, daß ihr euch abermals fürchten müßtet, sondern ihr habt einen Geist der Kindschaft empfangen, in welchem wir rufen: Abba, Vater!
Das Gespräch zwischen Jesus und der ausländischen Frau fand vor der Kreuzigung und Auferstehung von Jesus statt. Damals stand noch das Grundkonzept, erst mal das Heil den Juden, und nur punktuell auch einigen Nichtjuden. Aber dann hat uns Gott ganz klar gesagt, daß Jesus für alle Menschen gestorben ist, für alle Menschen auf der ganzen Welt , gleichgültig welcher Rasse, welcher Nationalität und welchen Standes innerhalb der Gesellschaft, und gleichgültig in welchen Jahrhundert sie gelebt haben oder leben. Das einzige, was wir tun müssen, ist, uns vom Geiste Gottes leiten lassen. Dann dürfen wir Gottes Kinder sein, nicht mehr kleine Hündchen unter dem Tisch, die die heruntergefallenen Reste bekommen, sondern Kinder, Erben des Reiches Gottes.
Ich finde, das ist so eine überwältigend großartige Aussage, daß wir sie uns richtig bewußt machen müssen. Wir sind nicht ein jederzeit auswechselbares Rädchen irgendeiner Maschine. Wir werden nicht auf den Schrottplatz geworfen, wenn wir im Arbeitsleben nicht mehr funktionieren. Wir, jeder einzelne von uns, der Jesus in seinem Herzen hat, ist ein Kind Gottes. Wir werden einmal in seinem Haus leben und an seiner Tafel mitessen.
Und als seine Kinder, wie viel mehr dürfen wir da unseren Gott um etwas bitten, wenn wir etwas bedürfen! Die Frage ist nur: Nehmen wir dieses Privileg auch in Anspruch?
Wie ist das überhaupt grundsätzlich mit dem Bitten an sich? In der Welt wird propagiert, daß wir stark sein sollen, daß wir selbständig, unabhängig und vieles mehr sein sollen. Manche Frauen emanzipieren sich, weil sie meinen, die Männer nicht mehr zu brauchen. "Wenn Du erst mal groß und stark bist, dann wirst du das selbst schaffen," bringen wir unseren Kindern bei. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft und sind stolz darauf, etwas zu erreichen. Was soll da dieser Aspekt mit dem Bitten? In dem Moment, in dem ich einen anderen um etwas bitte, gebe ich doch zu, daß ich das selbst nicht kann. Da zeige ich doch, daß ich schwach bin, oder? Und wenn ich vor anderen meine eigene Schwäche eingestehe, dann ist es nicht mehr weit hin, daß man merkt, daß ich ersetzbar bin. – Nein! Nein, liebe Gemeinde, das wäre eine vollkommen falsche Denkweise.
Zum einen sind wir nun mal unterschiedliche Menschen. Jeder einzelne von uns hat seine ganz individuellen Stärken und Schwächen. Das ist ja gerade das Schöne an einer Gemeinde, daß wir ein Team sein dürfen, in dem jeder seine persönlichen Gaben einbringen kann.
Wenn etwa aus dem Keller die Tische heraufgeschleppt werden müssen, dann kann ich nicht mitmachen. Ich mußte schon oft jemanden bitten, mir zu helfen, weil ich einfach keine Kraft in den Armen habe. Ich schaffte es nicht, irgendetwas sehr Schweres von da nach dort zu tragen. Aber ich empfinde es nicht als weiter schlimm, da jemanden um Hilfe zu bitten. Es ist auch so ziemlich immer jemand da.
Dafür gibt es dann andere Aufgaben, bei denen ich mich kompetenter fühle, und bei denen ich gerne anderen helfe, wenn ich darum gebeten werde.
Und hier sind wir beim nächsten Punkt:
Es nützt mir gar nichts, wenn ich mich hinsetzte und vor mich hinjammere: "Ach, dieser Koffer ist so schwer und ich habe niemanden, der mir beim Tragen hilft." Da kann ich sitzen und jammern und dabei versauern, und es passiert nichts. Nein, ich muß ganz konkret jemanden ansprechen, von dem ich annehme, daß er Kraft in den Armen hat. Wenn ich Pech habe, murrt der dann zwar und grunzt, "eigentlich habe ich jetzt gar keine Lust, dir zu helfen." Aber wenn das mit dem Koffer wichtig ist, dann muß ich eben ganz penetrant bitten, und irgendwann wird es ihm zu blöd, und er hilft mir doch.
Bei Gott ist es ähnlich und doch etwas anders.
Erst mal müssen wir Gott bitten. Er erwartet es von uns. In der Bergpredigt in Matthäus 7, 7 – 8 sagt Jesus:
Bittet, so wird euch gegeben; sucht, so werdet ihr finden; klopft an, so wird euch aufgetan! Denn jeder, der bittet, empfängt; und wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird aufgetan.
Gott weiß zwar von Anfang an, was wir alles brauchen. Aber wozu sollte er es uns schenken, wenn wir ihn nicht darum bitten?
Dabei denke ich, ist es aber auch wichtig, daß wir in Demut bitten. Stellen Sie sich vor, Sie sind Leiter einer großen Firma und jemand würde so zu Ihnen kommen: "Also, Sie kennen mich ja schließlich. Sie wissen, daß ich ein hervorragender Mitarbeiter bin. Ich schaffe einiges bei Ihnen. Aber ich sitze da in diesem Großraumbüro zusammen mit noch so einem Typen an einem Schreibtisch. Ich habe da einfach keinen Platz. Ich finde, ich brauche einen eigenen Schreibtisch. Das ist wirklich allmählich angebracht bei meiner Qualifikation!"
Wie reagieren Sie? Ich wette, Sie weisen ihn ab, drehen sich um und gehen.
Wenn aber einer kommt und ganz höflich anfragt: "An meinem Arbeitsplatz da ist es arg eng. Manchmal muß ich schon Akten auf den Boden stellen. Meinen Sie, es wäre vielleicht möglich, wenigstens ein bißchen einen größeren Schreibtisch zu bekommen?"
Ich könnte mir vorstellen, bei diesem Mitarbeiter, wenn Sie ihm den Wunsch nicht gleich erfüllen, so sehen Sie sich wenigstens seinen Arbeitsplatz an und überzeugen sich persönlich davon, daß es bei ihm zu eng ist.
Und da sind wir wieder bei dieser Frau in unserer Geschichte. Die Frau plustert sich nicht vor Jesus auf, wer sie Wichtiges sei. Nein, sie akzeptiert ihre Kleinheit im Angesicht Gottes. Aber sie pocht darauf, etwas von Jesus haben zu wollen. "Auch wenn ich im Vergleich zu Dir, Herr, winzig klein bin, so bitte ich Dich doch, gewähre mir, worum ich Dich bitte."
Diese Frau hat sich noch mit einem kleinen Hund verglichen. Wir jedoch, wir haben den Zuspruch, Gottes Kinder sein zu dürfen. Wie viel mehr erhört Gott die Bitten seiner Kinder! Wir müssen ihn aber auch wirklich bitten. Wir dürfen mit allem zu ihm kommen, mit all unseren persönlichen kleinen und großen Sorgen.
Doch was ist, wenn er meine Bitte nicht erfüllt? Bin ich als Christ vielleicht nicht gut genug? Mache ich etwas falsch? Bitte ich nicht hartnäckig genug?
Nein. Erst mal gibt es keine guten oder schlechten Christen. Wir machen alle unsere Fehler, jeder von uns. Gott weiß, daß wir unvollkommen sind, aber er hat uns lieb gerade so, wie wir sind.
Woran liegt es dann, wenn er uns eine Bitte nicht erfüllt?
Viele von Ihnen haben selbst Kinder. Stellen Sie sich vor, Ihr Kind kommt kurz vor dem Essen angerannt und bettelt um ein Eis. Es bettelt und bittet, und es sei doch so warm draußen und überhaupt und außerdem. Sie werden ihm kein Eis kaufen, weil sie genau wissen, daß ihm das jetzt nicht gut tut. Sie lieben ihr Kind und wollen nicht, daß es sich den Magen verdirbt. Also erfüllen sie ihm seine Bitte nicht, auch wenn das Kind das im Augenblick nicht einsieht und schrecklich traurig ist.
Ähnlich ist es bei Gott. Wir Menschen haben im Vergleich zu Gott nur ein begrenztes Blickfeld. Gott aber hat den vollkommenen Überblick über unser ganzes Leben und weiß genau, was letztendlich für uns gut und sinnvoll ist und was nicht. Deshalb mag es durchaus sein, daß wir bisweilen sehr traurig sind, weil Gott eine unserer Bitten nicht erfüllt. Wenn Sie in eine derartige Situation geraten, lassen Sie sich durch die Gewißheit trösten, daß Gott ganz genau weiß, was für Sie persönlich das Beste ist. Gott hat Sie sehr, sehr lieb. Er weiß, was Sie benötigen und erfüllt Ihre Bitten gerne, sofern das, worum Sie bitten, auch wirklich gut für Sie ist. Ich hatte früher einmal sehr intensiv wegen eines Anliegens zu Gott gebetet. Er hat mir meine Bitte nicht erfüllt. Ich hatte es nicht verstanden, warum. Erst als ich aufhörte, nach dem Warum zu fragen und Gott voll vertraute, daß er schon das Richtige für mich bereithalten würde, erst ab da hatte ich meinen persönlichen Frieden mit Gott und konnte ein richtig fröhlicher Christ sein.
Lassen Sie mich zum Schluß von meiner Nachbarin erzählen. Sie war katholisch, verheiratet, drei Kinder. Ihr Bruder ist katholischer Pfarrer und sie war eine sehr gläubige Frau.
Eines Tages erhielt sie die Diagnose Brustkrebs, hoffnungslos. Da taten sich die Geschwister in ihrer Gemeinde zusammen, und gemeinsam beteten sie, daß die Frau doch wieder gesund werden möge. Die Frau betete so:
"Lieber Herr, meine Kinder sind doch noch so klein. Bitte laß mich noch nicht sterben. Meine Kinder brauchen mich doch noch. Bitte, Herr, laß mich noch so lange leben, bis mich meine Kinder mich nicht mehr brauchen."
Kurz darauf war die Frau wieder vollkommen gesund, und es waren auch keinerlei Metastasen im Körper zu entdecken. Sie lobte Gott und dankte ihm.
Eine Reihe von Jahren später, genau ein halbes Jahr nachdem das jüngste Kind sein Abitur gemacht hatte, kam der Brustkrebs wieder.
Die Geschwister in der Gemeinde schlugen vor, wieder gemeinsam um Genesung zu beten, denn Gott hatte ja das Gebet schon mal so wunderbar erhört. Jetzt jedoch lehnte die Frau ab. "Nein," sagte sie, "ich habe Gott um Aufschub gebeten bis meine Kinder erwachsen sein würden. Das sind sie jetzt. Gott hat mir diesen Aufschub gewährt, und ich danke ihm dafür. Jetzt aber bin ich bereit, zu ihm zu gehen." Sie regelte daraufhin alle ihre Angelegenheiten und bereitete ihre komplette Beerdigung samt Trauerfeier und bis hin zur Auswahl der Lieder vor. Ein knappes Jahr nach dieser zweiten Diagnose rief Gott die Frau zu sich in seine Herrlichkeit.
Amen.