Es war stockdunkel draußen, als die Mutter leise ins Kinderzimmer schlich. Behutsam legte sie die Hand auf Damaris Schulter:
"Aufwachen, Kleines, es wird Zeit. Wir müssen gehen. Und du willst doch mit, nicht wahr?"
Damaris blinzelte verschlafen. "He, mm, ...." Doch auf einmal war sie hellwach. Ja, natürlich wollte sie mit. Fast mit einem einzigen Satz sprang sie aus dem Bett und war im Nu hellwach. Eilend huschte sie ins Bad, wusch sich flüchtig und zog sich blitzschnell an. Die Eltern und ihr großer Bruder waren auch schon fertig.
Alle flüsterten nur, denn das moderne Mietshaus hatte sehr dünne Wände, und die Nachbarn sollten zu dieser nächtlichen Stunde nicht geweckt werden.
Damaris Herz pochte heftig, während die Familie mit dem Auto durch die menschenleeren Straßen fuhr. Viele Ampeln waren jetzt ausgeschaltet, und nur hier und dort sah man einen Einsamen seinen Weg gehen.
Endlich waren sie da. Bereits von Weitem sahen sie ein großes Feuer. Menschen standen darum herum. Jemand teilte Kerzen aus.
Damaris war sehr gespannt. Sie gingen schon öfters zur Kirche, meistens in den Kindergottesdienst, aber sie waren noch nie fast mitten in der Nacht gekommen. Sonst war auch die Kirche immer hell erleuchtet gewesen. Aber jetzt war alles vollkommen dunkel. Nur im Hof brannte ein großes Feuer.
Damaris erinnerte sich an eine Geschichte, die sich vor vielen hundert Jahren ereignet hatte, und die ihr einmal jemand erzählt hatte. Da waren ebenfalls Leute um ein Feuer gestanden. Es war ebenfalls kalt gewesen. Soldaten hatten sich dort gewärmt. Ein Fremder war dann hinzugekommen, wollte ein bißchen wenigstens von der wohligen Wärme abbekommen.
"He, du," hatte einer von den Soldaten gerufen, "gehörst du nicht ebenfalls zu dem Nazarener, den sie gerade drinnen verhören?"
Der Fremde schüttelte den Kopf. "Nein, nein, ich kenne ihn nicht, den sie da drinnen vernehmen." Dabei kannte er ihn, war lange mit ihm zusammen gewesen, hatte viel von ihm gehört. Aber jetzt verleugnete er das, denn er hatte Angst, daß sie ihn deshalb womöglich vom Feuer vertreiben würden.
Am folgenden Tag hatte man den Nazarener hingerichtet.
Das Feuer brannte, spendete angenehme Wärme, und Damaris hielt nachdenklich ihre Kerze in der Hand. Sie hatte schon oft Geschichten von Jesus gehört, aber weder in ihrer Klasse noch gegenüber den Freunden in ihrer Straße hatte sie jemals etwas darüber erzählt. Auch sie hatte Angst, Angst womöglich nicht für voll genommen zu werden, aus kleinen Spielen ausgeschlossen zu werden, nicht als "in" oder cool zu gelten.
Jetzt lasen einige Leute Bibelverse vor, und schließlich forderte der Pfarrer die Menschen auf, die Kirche zu betreten.
Es war nach wie vor alles stockdunkel. Vorsichtig setzte Damaris einen Fuß vor den anderen, um nicht zu stolpern und tastete sich schließlich in ihre Bank. Die Kerze hielt sie nach wie vor in der Hand. Was es wohl für eine Bewandtnis damit haben würde?
Jetzt saßen alle Leute. Der Pfarrer betete. Einige zitierten Verse aus der Bibel.
Und dort am Altar ging ein Licht an. Damaris hatte wohl gerade nicht recht aufgepaßt und so nicht mitbekommen, wer es denn angezündet hatte.
"Christus ist auferstanden!" verkündete der Pfarrer.
"Er ist wahrhaftig auferstanden," antwortete die Gemeinde.
Der Pfarrer nahm nun seine kleine Kerze und zündete sie an der großen an. Dann gab er das Licht weiter an den nächsten und dieser wieder an den Nächsten und so weiter. Jeder reichte das Licht seinem Nachbarn. Allmählich erhellte sich eine Bankreihe nach der anderen.
"Jesus ist das Licht," sagte die Frau neben Damaris und hielt ihr dabei die brennende Kerze hin. Sorgsam führte Damaris den Docht ihrer Kerze in das Feuer. Jetzt sprang das Licht über, und die Kerze von Damaris brannte ebenfalls. "Jesus ist das Licht," wiederholte Damaris und reichte dieses Licht weiter an ihren Bruder neben ihr.
Bis in die hintersten Bankreihen wanderte das Licht der Auferstehung. Anschließend sang die Gemeinde ein Lied, und der Pfarrer hielt seine Predigt.
Predigten sind meistens sowieso für Erwachsene, und deshalb hörte Damaris gar nicht genau hin. Sie betrachtete lieber ihre brennende Kerze. Schön sah sie aus. Wie lange sie wohl brennen würde?
Damaris erinnerte sich daran, was ihre griechische Großmutter über Ostern in Griechenland erzählt hatte.
Ja, dort ist es ebenfalls Brauch, daß in der Nacht zum Ostersonntag am Altar der Kirche ein Licht angeht. Die Menschen aus der ganzen Nachbarschaft kommen zur Kirche und bringen jeweils ihre eigene Kerze mit. Diese entzünden sie dann am Licht des Altars und sie geben dieses Licht ihren Nächsten weiter. Dann tragen sie die brennenden Kerzen in ihre Häuser, damit das Licht der Auferstehung auch in ihren Familien leuchten würde.
Auf einmal erschrak Damaris. Wie lange würde der Pfarrer denn noch reden? Ihre Kerze war nämlich nicht sonderlich groß. Wenn der Pfarrer nur endlich aufhören würde. Damaris wollte doch die brennende Kerze mit nach Hause nehmen. Das Licht der Auferstehung Jesu sollte doch auch in ihrer kleinen Wohnung in dem Mietshaus weiterleuchten.
Damaris hatte Jesus lieb - ja, schon. Sie wußte, daß Jesus damals gekreuzigt worden war, und daß Gott ihn am dritten Tag von den Toten auferweckt hatte. Jesus lebt. Und weil Jesus das Licht ist, brennt jetzt die Kerze auch in der Hand von Damaris.
Endlich war der Pfarrer fertig. Jetzt folgte noch ein Lied und noch ein Gebet und noch ein Lied. Und die Kerze brannte. Damaris wurde ganz ungeduldig. Wenn nur die Kerze durchhalten würde!
Da standen alle Leute auf. Der Segen zum Abschluß des Gottesdienstes wurde gesprochen. "Gehet hin in Frieden."
Na, endlich. Damaris atmete tief durch. Die Kerze brannte noch.
Als sie die Kirche verließen, stellte Damaris fest, daß es inzwischen hell geworden war. Aber es nieselte, und ein leichter Wind wehte.
Damaris hielt ihre Hand vor die Kerze, damit sie nur ja nicht ausging. Sie war so in Sorge um ihre Kerze, daß sie ihre Eltern, ihren Bruder und deren Kerzen überhaupt nicht beachtete sondern nur einfach neben ihnen herging.
Jetzt waren sie am Auto angelangt. Der Vater sperrte auf. Die Familie stieg ein.
"Mach deine Kerze aus," sagte der Vater, "du kannst nicht mit einer brennenden Kerze im Auto fahren."
Damaris wurde leichenblaß. Meinte der Vater das wirklich ernst? Da hatte sie sich all die Zeit solche Sorgen um das Licht ihrer Kerze gemacht, und jetzt sollte sie es einfach auspusten?
"Aber das ist doch das Licht der Auferstehung," stammelte sie. "Das ist doch Jesus. Jesus lebt. Jesus ist das Licht." Damaris rang nach Luft. Sie war den Tränen nahe. "Wir wollen doch das Licht von Jesus auch bei uns haben. Da kann ich doch die Kerze nicht auslöschen!"
"Diese Kerze wird irgendwann einmal sowieso niedergebrannt sein," antwortete der Vater liebevoll. "Das Licht der Auferstehung aber, Jesu Licht bleibt ewig bestehen."
"Und wie soll das gehen?" japste Damaris.
"Jesus ist in meinem Herzen. Und dadurch kann ich das Licht auch anderen Menschen weitergeben," lächelte der Vater, "wenn Jesus in uns leuchtet, haben wir keine Finsternis mehr."
Damaris atmete tief, und blies die kleine Kerze schließlich aus.
Während der Heimfahrt im Auto, nahm sie sich vor, ihrer Freundin noch an diesem Vormittag von Jesus zu erzählen. Dieses Licht von Jesus ist ganz stark, viel stärker als alle Dunkelheit. Damaris wußte, daß Jesus lebt. Und sie wußte, sie braucht keine Angst zu haben, deshalb gehänselt oder gar ausgelacht zu werden.